Elisabeth Selbert: eine Skulptur entsteht

Im Gespräch mit der Bildhauerin Karin Bohrmann

Aufzeichnungen zweier Atelierbesuchen am 18.4. und am 20.5.2021

Die Entstehung einer Plastik Schritt für Schritt zu verfolgen, ist allein schon spannend; die Annäherung an eine Figur, die unser gesellschaftliches Leben nachhaltig geprägt hat, sowie die damit beabsichtigte dauerhafte Würdigung eine weitere Dimension.

Die überregional bekannte Bildhauerin lebt und arbeitet seit dem Ende ihres Kunststudiums 1979 freischaffend in Grebenstein und zeichnet sich u. a. besonders durch ihre Meisterschaft in der figurativen Darstellung aus.

Beim ersten Atelierbesuch im April war die Figur in ihrer großen Präsenz schon gut erkennbar, aber noch nicht im Detail herausgearbeitet. Blaue Linien markierten Mittelachsen und Veränderungsabsichten, die Oberfläche war noch grob, der Arbeitsprozess sichtbar.

Mitte Mai dann, kurz vor dem Abtransport in die Bronzegießerei erschien sie als Plastik in Gips vollendet in ihrer kühlweißen Farbigkeit, und erlaubte uns, alle Einzelheiten eingebettet in der Gesamtheit zu genießen und zu besprechen.

Christine Reinckens

Karin, wie hast du dich an die Figur von Elisabeth Selbert angenähert? Wie hast du dir einen persönlichen Eindruck verschafft und Raum für deine eigenen Interpretation geschaffen?

Bevor ich mit dem Modell begann, habe ich mich „eingelesen“, d.h. nach Fotos gesucht und über ihr Leben und Wirken recherchiert. Dadurch habe ich eine lebhafte Vorstellung bekommen von Elisabeth Selbert als eine durchsetzungsfähige und emanzipierte Frau. Das, was sie vollbracht hat, zeugt für mich von einem Selbstbewusstsein. Dies wollte ich vor allem in die Figur reinlegen. Eine starke Frau.

Die Fotos aus den Jahren – viele sind es ja nicht – zeigen sie eher mit einem weichen und runden Äußeren, das habe ich übernommen, aber habe von vornherein versucht, ihr die für mich nötige Dynamik über ihre Haltung zu verleihen.

Den Film habe ich bewusst nicht gesehen, um meine eigene Interpretation nicht zu beeinflussen.

Als das kleine Modell fertig war, hat ihre Enkelin Susanne Selbert es in Augenschein genommen und es als sehr passend empfunden. Das war die Bestätigung, im Falle der Beauftragung in diese Richtung weiterzuarbeiten und meine Interpretationen weiter auszuformulieren.

Knapp ein Jahr später wurde der Auftrag erteilt. Wie bist du da technisch vorgegangen?

Ich beginne eine Figur oft in Ton, habe mich aber diesmal für Gips entschieden. Auch hier habe ich mit dem Körper begonnen und die Kleidung sozusagen draufgepackt.

Was hast du für Arbeitsrhythmen?

Ich kann mich völlig in eine Figur versenken, fange ich schon morgens früh an und arbeite durch. Dann kommen auch Pausen, wo ich im Vorbeigehen immer wieder die Figur anschaue, spiegelverkehrt überprüfe und mir dann Dinge auffallen. Diese regen wiederum die Aktivität an. Es war eine sehr stringente und intensive Arbeitsphase.

Wie gehst du vor?

Die Figur entsteht zuerst in der groben Form und wird dann immer detaillierter. Es werden immer wieder Veränderungen vorgenommen, die Schrägstellung des Kopfes zum Beispiel, der auch noch gedreht ist, die Lage der Augen, die Achsen, die schwingende Locke, und all das im Verhältnis zum Schultergürtel. Wenn der Gips getrocknet ist, kann man mit der Raspel und später sogar noch mit dem Schmirgelpapier Details verfeinern und rausarbeiten.

Besonders auffällig an der lebensgroßen Figur ist die Dynamik und Entschlossenheit.

Ja, das war mir wirklich wichtig.

Warum stellt man denn eine Figur in den öffentlichen Raum? Sie soll doch symbolisieren und daran erinnern, was sie vollbracht hat in ihrer Arbeit, ihrem Wirken für die Gesellschaft.

Hierbei war mir auch wichtig, dass sie kein Handtäschchen trägt, sondern Mappen unter dem Arm, und die Kostümtaschen leicht gefüllt sind. Eine Frau, die durch die Vision ihrer Tätigkeit getragen, dynamisch nach vorne schreitet und trotzdem an Anteil am Leben und den Menschen nimmt.

Mit welchen Mitteln kann man in der Bildhauerei diese besondere Dynamik kreieren?

Da ist erst einmal dieser Schritt nach vorne. Die Figur geht voran, sie hat ein Ziel vor Augen und wirkt entschlossen und sachkundig. Außerdem lege ich sehr viel Wert auf Kanten, Kurven, Schnitte. Das Spiel von Konvex-Konkav bringt Lebendigkeit hinein und akzentuiert durch Licht- und Schattenspiele die Oberfläche. Diese Kontraste sind sehr wichtig, wenn keine Farbe im Spiel ist.

Dynamik lässt sich besonders gut mit dem Faltenspiel an der Kleidung herstellen. Das bringt Schwung in die ganze Figur, davon lebt eine Plastik.

Schau mal, das breitere Revers, was etwas hochklappt, dieser Schwung wiederholt sich hinten im Rock, der etwas aufklappt wie ein Schößschen.

Dann die Schleife: Man kann sich kaum vorstellen, wie wichtig sie für die Dynamik in der Figur ist: Vergleiche einmal die Fotos mit und ohne Schleife. Zudem bricht sie Idas Männliche der Kleidung, fügt ihr eine verspielte Note hinzu und ist das feminine Äquivalent zur Krawatte.

Die Energie ist selbst in den Fingerspitzen sichtbar, denn die Hand baumelt nicht einfach herab, sondern ist in energetischer Bewegung.

All dies ließe sich mit einem menschlichen Modell, welches stillhalten muss, nicht herstellen, oder?

Nein, im Gegenteil. Das Modell braucht eine Ruhestellung, eine Statik, um es über Stunden und Tage hinweg abbilden zu können. Gut und wichtig, um Anatomie und Körperbau zu studieren.

Mein Hauptthema in der Plastik ist aber die Dynamik. Diese lässt sich nur in der „Unruhestellung“ ausführen und da bin ich mit meinen bildnerischen Erfindungen völlig frei, solange zu arbeiten, bis die ganze Figur schwingt.

 

Vielen Dank für diesen gut nachvollziehbaren Einblick in dein Schaffen!

Fotos: © Christine Reinckens

Über die Künstlerin

Die überregional bekannte Künstlerin Karin Bohrmann-Roth ist 1955 in Kassel geboren. Die Bildhauerin lebt und arbeitet seit dem Ende ihres Kunststudiums 1979 freischaffend in Grebenstein und zeichnet sich besonders durch ihre Meisterschaft im Figurativen aus. Seit 1980 erhält sie zahlreiche Aufträge für Figuren im öffentlichen uns sakralen Raum.

Mehr Informationen: www.bohrmann-roth.de


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